Konstantin der Große: Das Christentum auf dem Weg zur Staatsreligion

Konstantin der Große: Das Christentum auf dem Weg zur Staatsreligion
Konstantin der Große: Das Christentum auf dem Weg zur Staatsreligion
 
Das 3. Jahrhundert war eine unruhige Zeit für das römische Imperium. Mit der Bedrohung der Grenzen durch die Germanen, Sarmaten, Perser, Berber und das Reich der Sassaniden wurden die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krisen im Innern des Reiches verschärft. Das Christentum war inzwischen so weit in die Welt des Hellenismus eingedrungen, dass es seinen Sektencharakter verloren hatte und sich im ganzen Reich und in allen gesellschaftlichen Schichten etablieren konnte. Noch waren die Christen zahlenmäßig in der Minderheit und lagen im Wettstreit mit den anderen Religionen im Reich, vor allem mit den orientalischen Mysterienreligionen. Der universale Monotheismus, das Ethos und die karitative Praxis der christlichen Gemeinden übten auf die Menschen eine große Anziehungskraft aus. Zusammen mit ihrer hierarchischen Ämterstruktur und der reichsweiten Solidarität der Gemeinden untereinander bildete die Kirche einen Staat im Staat, den die politischen Machthaber nicht mehr ignorieren konnten. Kaiser Diokletian versuchte zu Beginn des 4. Jahrhunderts die neue Religion durch blutige Christenverfolgungen zu eliminieren. Kaiser Konstantin hatte die Zeichen der Zeit besser verstanden, als er sich zur Zusammenarbeit mit dem Christentum entschloss.
 
Konstantin sah in seinem Sieg über Maxentius im Jahre 312 den entscheidenden Durchbruch seiner Karriere. Seinen Sieg interpretierte er ganz gemäß dem römischen Religionsverständnis: Die Gottheit selbst habe ihm in einer Vision den Sieg im Kreuzzeichen beziehungsweise im Christusmonogramm verheißen. Damit war für ihn und für seine Zeitgenossen klar, dass die Gottheit ihn zu ihrem Werkzeug und Repräsentanten, zum Herrscher der Welt, erwählt hatte. Es war nichts Ungewöhnliches, dass ein römischer Kaiser einen neuen Kult favorisierte. Schon lange vor seiner Entscheidung für das Christentum hatte sich Konstantin dem Monotheismus zugewandt und eine im Vergleich zu den römischen Göttern recht abstrakte Gottheit (»Divinitas«) kultisch verehrt. Vor seiner Hinwendung zum Christentum war dies der Sol invictus. Konstantin teilte die römische Anschauung, die die eigenen Götter unter anderen Namen in den Göttern der fremden Völker wiedererkannte, die »Interpretatio romana«. Für ihn war der christliche Gott identisch mit der Gottheit, die er selbst seit langem verehrte. Konstantin hat von daher keine Bekehrung im eigentlich christlichen Sinn erlebt. Sein Kampf gegen Maxentius war auch kein Kampf zwischen einem zum Christen bekehrten Kaiser und seinem heidnischen Rivalen. Denn auch Maxentius hatte eine bewusst christenfreundliche Haltung bewiesen und begünstigte in Rom die Kirche, beraten von Bischof Hosius von Córdoba, der in dieser Funktion später auch am Hof Konstantins tätig war. Maxentius war allerdings in seiner Politik den. Christen gegenüber zu zögerlich. Nach der religiösen und politischen Ideologie Konstantins musste eine Entsprechung zwischen der strikten Monarchie Gottes und seiner Repräsentanz auf Erden, dem absolutistischen Gotteskaisertum, bestehen. Staatsräson und Religion waren für ihn untrennbar; und so konnte er im Christentum die für ihn und das Imperium ideale Kultreligion sehen. Unter Diokletian noch unterdrückt, dann 311 durch das Edikt des Kaisers Valerius geduldet, wurde das Christentum zwei Jahre später im Mailänder Protokoll von Konstantin und Licinius den anderen Religionen gleichgestellt und von Konstantin und seinen Nachfolgern privilegiert, bis es dann von Theodosius I. 380 schließlich mit dem Verbot aller anderen Religionen Staatsreligion wurde.
 
Konstantin verfolgte eine zielstrebige Religionspolitik mit den altbewährten kaiserlichen Mitteln der Begünstigung: Die Bischöfe erhielten finanzielle Zuwendungen, gerichtliche Befugnisse, Ehrenrechte und trugen die Insiginien der hohen Hofbeamten. Aus christlichen Gemeindeleitern wurden staatliche Würdenträger mit besonderen Vorrechten. Der Kaiser ließ im ganzen Reich Kirchen erbauen oder beteiligte sich an ihrer Finanzierung. Die bischöflichen Kirchen wurden von Konstantin mit Ländereien ausgestattet und erhielten das Recht, Erbschaften anzunehmen. Alle Kleriker wurden von den oft lästigen und aufwendigen öffentlichen Diensten, den »Liturgien«, und den Steuern befreit. Im Jahr 321 erklärte Konstantin den christlichen Sonntag zum reichsweiten Feier- und Ruhetag. Konstantin übte trotz seiner prochristlichen Politik Toleranz gegenüber den nichtchristlichen Bewohnern des Imperiums, die noch die Mehrzahl der Bevölkerung ausmachten. Als »Bischof für die draußen«, wie er sich selbst bezeichnete, fühlte er sich für alle Einwohner seines Reiches verantwortlich. Diese tolerante Haltung gaben seine Nachfolger später auf. Konstantin verstand sich als gottgesandter Kaiser mit dem Heilsauftrag für das ganze Reich. Daraus leitete er sein Recht und seine Pflicht ab, mit seiner kaiserlichen Autorität auf innerkirchliche Angelegenheiten direkten Einfluss zu nehmen. So berief er im Jahr 325 das Konzil von Nizäa ein, bestimmte den Ablauf und schrieb die theologische Kompromissformel für alle verbindlich vor. Konstantin ging es hier um die Einheit des Christentums als dem Fundament der staatlichen Einheit. Die Kirche hatte die Position Konstantins zunächst kritiklos akzeptiert. Zu groß war die Dankbarkeit dem Kaiser gegenüber, zudem hatte man keine eigene politische Theologie für die neue Situation entwickelt. Erst in der Folgezeit wurde die Forderung nach einer grundsätzlichen Klärung des Verhältnisses von Kirche und Staat unausweichlich. Die kaiserliche Religionspolitik blieb nicht ohne tief greifende Veränderungen für die kirchlichen Strukturen und das religiöse Leben. Die Masseneintritte, oft von Opportunismus geleitet, machten eine fundierte Glaubensunterweisung und die bisher intensive Vorbereitung auf die Taufe unmöglich. Viele Neuchristen blieben in ihrem religiösen Denken und Handeln in ihrer alten Religion verwurzelt. Im Toten- und Reliquienkult, im Wunderglauben, in magischen Riten sowie in der Moral und Glaubenslehre lebten heidnische Auffassungen weiter. An die Stelle der frühchristlichen Brudergemeinden war die Volkskirche in ihrer ganzen Ambivalenz getreten.
 
Aloys Wener
 
 
Geschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Graz u. a. 31995.

Universal-Lexikon. 2012.

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